Schreie der Armen und Schreie der Natur - CIDSE

Schreie der Armen und Schreie der Natur

© Europäische Kommission GD ECHO

Martin Maier reflektiert den neuen Enzyklika-Brief von Papst Franziskus Laudato Si '

Die Umweltenzyklika von Papst Franziskus, auf die viele Monate gewartet wurde und die vor der Veröffentlichung viel kommentiert und kritisiert wurde, erschien auf der 18 June. Ihre zentrale Botschaft lautet, dass der gefährliche Klimawandel und die skrupellose Ausbeutung natürlicher Ressourcen weiterhin die Zukunft unseres Planeten bedrohen. Das Thema Ökologie ist ein Thema der Gerechtigkeit. Die Gemeinschaft der Menschheit hat die Macht, den Kurs zu ändern und die fatale Dynamik zu stoppen, und zu diesem Zweck liegt das besondere Potenzial in der jüdisch-christlichen Tradition und in den Religionen. Die Bewahrung der Schöpfung ist schließlich ein zentrales ökumenisches und interreligiöses Thema.

Wie seine Namenswahl nahelegt, hat Papst Franziskus die Bewahrung der Schöpfung zu einem zentralen Anliegen seines Pontifikats gemacht. Entsprechend seiner Wahl des päpstlichen Namens hat er für den Titel seiner Enzyklika die einleitenden Worte des Kantikels des heiligen Franziskus gewählt: „Lob sei“. In diesem Gedicht preist und dankt der Poverello Gott für die Schönheit der Schöpfung. Der Untertitel: „Über die Pflege unseres gemeinsamen Zuhauses“ fügt der Hauptmelodie des Songs of Creation eine Melodie in einer Moll-Tonart hinzu. Das erste Kapitel des Briefes, in dem der Papst nicht nur die Katholiken anspricht, sondern alle, die auf der Erde leben, fasst den Konsens der Wissenschaftler zusammen: Der gefährliche Klimawandel wird größtenteils vom Menschen verursacht und liegt in der Verantwortung der Menschheit. Neben der globalen Erwärmung werden auch die Fragen der sauberen Wasserversorgung und des Verlustes der biologischen Vielfalt angesprochen. Die Diagnose lässt keinen Zweifel offen: „Noch nie haben wir unser gemeinsames Zuhause so misshandelt und beschädigt wie in den letzten zwei Jahrhunderten.“

Im zweiten Kapitel der Enzyklika skizziert der Papst eine Theologie und Spiritualität der Schöpfung. Eine Grundvoraussetzung ist, dass die Schöpfung den Menschen als Geschenk Gottes anvertraut wurde und dass sie geschützt und bewahrt werden muss. Wir sind die Verwalter unserer gemeinsamen Welt. Theologisch gesehen ist das gestörte Verhältnis zwischen Menschen und Gottes Schöpfung Ausdruck der Sünde. Und so entsteht der Imperativ aus einer „ökologischen Bekehrung“, die Papst Johannes Paul II. Bereits formuliert hat.

Während des gesamten Dokuments wird das Thema Ökologie als eine Frage der Gerechtigkeit betrachtet. Dies kann in einer parallelen Behandlung der Schreie der Armen und der Schreie der Natur gesehen werden. Auch hier geht der Papst auf Franz von Assisi zurück, für den „die Sorge um die Schöpfung und die Sorge um die Armen und Vernachlässigten eng miteinander verbunden waren“ Diejenigen, die unter den Folgen leiden, leben hauptsächlich in den verarmten Ländern des Südens. Daher leitet der Papst das inhärente Prinzip der „unterschiedlichen, aber gemeinsamen Verantwortung“ ab, auf das sich die UN-Staaten auf ihrem 1992-Gipfel in Rio verständigten. Die Industrieländer sind die Hauptursache für die globale Umweltkrise und tragen somit eine größere Verantwortung für den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung.

Weitere Themen, die die gesamte Enzyklika durchziehen, sind: Gerechtigkeit zwischen den Generationen; Kritik an den vorherrschenden Paradigmen von Technologie, Wirtschaft und Fortschritt; die feste Überzeugung, dass ökologische, ökonomische und soziale Themen miteinander verknüpft sind; das Konzept der Global Commons wie sauberes Wasser, die Ozeane, Wälder und die Atmosphäre; der innere Wert aller Kreaturen und der Bedarf an neuen Modellen für Produktion und Konsum.

In seiner Kritik an der Moderne ist der Papst eindeutig von Romano Guardinis Buch The End of Modernity beeinflusst. Die ökologische Krise ist die äußere Manifestation der ethischen, kulturellen und spirituellen Krise der modernen Menschheit. Er verfällt jedoch nicht in kulturellen Pessimismus; Stattdessen erkennt er die vielen verschiedenen Facetten der Moderne und des technologischen Fortschritts, die er in einem sehr positiven Licht sieht.

Mit dieser Enzyklika legt Papst Franziskus seine ökologische Magna Carta vor, auf die er in seinen Reden vor dem US-Kongress und bei den Vereinten Nationen im September dieses Jahres sicherlich verweisen wird. Vielleicht hätten die Leute etwas konkretere Handlungsvorschläge erwartet. Der Papst erklärt jedoch ausdrücklich, dass er weder Entscheidungen zu wissenschaftlichen Fragen treffen noch die Arbeit der Politiker ersetzen möchte, sondern lieber zu einer offenen und transparenten Debatte einlädt. „Laudato Si“ enthält eine Fülle von Materialien, die nicht nur die internationale Politik, sondern auch den ökumenischen und interreligiösen Dialog und konkrete Gemeinschaftsprojekte inspirieren und bereichern. Ein Leitprinzip für die Umsetzung könnte sein: „Global denken - lokal handeln.“

Martin Maier SJ
JESC
www.jesc.eu

 

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